Alix von Frankreich

Eines der tragischsten Frauenschicksale des Hochmittelalters

Wenn man an die Welt des Mittelalters denkt, hat man oft edle Ritter vor Augen, die den Damen den Hof machten oder Troubadoure, die im Minnegesang deren Schönheit besangen. Und eben diese Damen, die respektiert und verehrt wurden.

Das stimmt alles, aber es war nur die eine Seite. Die andere sah, besonders in Bezug auf diese Frauen, ganz anders aus.

Frauen hatten, ausgenommen einige wenige von ihnen, die entweder im sog. „eigenen Recht“ herrschten – eine Seltenheit zu dieser Zeit – oder über das Bett, wenig zu sagen und kaum Mitspracherecht, wenn überhaupt, was die Gestaltung ihres Lebens betraf.

Dazu kam die Macht der Kirche, die den Frauen noch weniger Rechte als der Staat zugestand. Für deren Vertreter waren sie minderwertig und hatten ihr Leben lang für die Sünden ihrer Urmutter Eva zu büßen.

Aber auch hier gab es wieder Ausnahmen. Manche Äbtissinnen in den Klöstern hatten sehr wohl Macht bis in den weltlichen Bereich hinein, z.B. die der Klosterstadt Fontevrault in Frankreich. Das Kloster war eine Insel der Bildung und der Kultur, auch für Frauen, viele der Nonnen dort kamen aus dem Hochadel. Besonders die Familie Plantagenet hatte eine intensive Beziehung zu Fontevrault. So ließ Eleonore von Aquitanien dem Kloster großzügige Spenden zukommen und die Plantagenets bestimmten es zu ihrer Grablege. Eleonore selbst, ihr Mann Henry II. und Richard Löwenherz sind dort bestattet.

Fontevrault war eines der damals weit verbreiteten Doppelklöster aus Mönchen und Nonnen, unterstand allerdings der Leitung der Äbtissin, was eher ungewöhnlich war.

Herrscher waren in der Regel zuerst daran interessiert, ihre Nachfolge zu sichern, was sie nur durch Söhne konnten. Ideal waren zwei bis drei Söhne, denn nicht nur die Kindersterblichkeit war sehr hoch, sondern auch später, sobald die Nachkommen im kampffähigen Alter waren, gab es viele Tote.

Mehr Söhne mussten es dann aber auch nicht sein, denn zu viele von ihnen bedingten Aufstände gegen den Vater und untereinander um die Nachfolge. So kämpften die Söhne von Henry II. sowohl gegen ihn als auch gegeneinander. Richard Löwenherz erlangte seine Anerkennung als Thronfolger erst zwei Tage vor dem Tod seines Vaters, obwohl er zu dieser Zeit bereits seit sechs Jahren der älteste noch lebende Sohn von Henry und Eleonore war. Vorher hatte er zusammen mit Philippe II. von Frankreich seinen Vater durch halb Frankreich gehetzt.

Nach den Söhnen waren Töchter sehr begehrt. Denn von ihnen wurde nicht gefürchtet, dass sie sich gegen ihre Eltern auflehnten, und man konnte sie gut verheiraten, um Bündnisse zu schließen. Aus dieser Zeit sind Kinderehren bis hinunter ins Babyalter bekannt. Es war nicht ungewöhnlich, bei der feierlichen Trauung Babys in ihren Körben vor die Altäre zu stellen. Denn nicht die Kinder, sondern die Eltern, vorrangig die Väter, entschieden, wer wen zu heiraten hatte.

Die Ehen wurden vollzogen, sobald die Kinder dazu in der Lage waren, in der Regel, nachdem die jungen Frauen ihre erste Blutung gehabt hatten und damit die Aussicht bestand, dass schon der erste Liebesakt Nachkommen hervorbringen konnte, denn die Kirche erlaubte den Beischlaf nur zum Zweck der Zeugung.  

So gibt es Quellen, die darüber berichten, dass Johanna Plantagenet, die jüngere Schwester von Richard Löwenherz, die im Alter von elf Jahren mit dem viel älteren König Wilhelm II. von Sizilien verheiratet wurde, die ersten Jahre zusammen mit den anderen Kindern der hochadeligen Familien dort erzogen und weiterhin wie ein Kind behandelt wurde. Erst nach dem Einsetzen ihrer ersten Blutung wurde sie dem Bett ihres Gemahls zugeführt.

Auch in der Ehe hatten die Frauen kein Mitspracherecht, der Mann hatte alle Rechte über sie und an ihren Besitztümern, denn dafür waren die Ehen schließlich geschlossen worden. Dies wurde auch durch die damals übliche kirchliche Zeremonie deutlich gemacht. Die Frau hatte sich während der Zeremonie ihrem künftigen Mann zu Füßen zu werfen, nicht nur auf die Knie, sondern sich in ihrer gesamten Länge flach vor ihn auf den Boden zu legen. Dadurch erkannte sie ihre Unterlegenheit und die Macht des Mannes über sie vor allen Anwesenden und besonders vor Gott an.

Und der Mann wurde von dem Priester ermächtigt, sein gottgegebenes Recht über seine Frau auszuüben. Er durfte alles mit ihr machen, sie schlagen, misshandeln oder sogar dem Scheiterhaufen überantworten. Ein Grund dafür war immer schnell gefunden und meistens waren die Kleriker allzu bereit, den Ehemann zu unterstützen.

Wirkliche Liebe fand meistens nicht im Ehebett, sondern außerhalb dessen statt. Es war völlig normal und wurde akzeptiert, dass ein Fürst Mätressen und illegitime Kinder von diesen hatte. So sind von Henry II. von England zehn Bastarde mit unterschiedlichen Geliebten bekannt.

Dieses Recht wurde aber nicht den Frauen zugestanden. Wurden sie „erwischt“, drohte ihnen der Scheiterhaufen wegen Ehebruch. Allerdings war es auch hier so, dass mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wurde. Mätressen konnten allgemein bekannt und unbehelligt sein, solange sie gefielen. Taten sie das nicht mehr, waren sie plötzlich untreue Ehefrauen mit den entsprechenden Konsequenzen für sie.

 

Eines der tragischsten Frauenschicksale des Hochmittelalters vor diesem Hintergrund war das von Alix von Frankreich, der Schwester Philippes II.

In manchen Überlieferung wird sie auch Alys, Adélaide oder Alais genannt.

Über ihr Geburtsjahr und die genauen Daten ihres Schicksals gehen die historischen Aufzeichnungen auseinander. Übereinstimmend sind jedoch die Überlieferungen über den Ablauf ihres Schicksals.

Sie war eine Tochter des französischen Königs Ludwig VII. mit seiner dritten Ehefrau (die erste war Eleonore von Aquitanien), manche nehmen auch an, sie war eine Tochter von Ludwigs zweiter Ehefrau. Insofern ist noch nicht einmal sicher, ob sie eine Schwester oder Halbschwester von Philippe war, denn er war der Sohn von Ludwigs dritter Ehefrau.

Sie wurde von Ludwig VII. und dem englischen König Henry II. mit dessen Sohn Richard verlobt, um den Frieden zwischen dem Angevinischen Reich und Frankreich zu sichern.

Dazu wurde sie an den Hof des englischen Königs geschickt, um dort von ihrem künftigen Schwiegervater und dessen Frau erzogen und auf ihre spätere Aufgabe als Ehefrau und eben auch Herrscherin vorbereitet zu werden. Dies war allgemein üblich, genauso wie bei den Jungen, die in fremden Haushalten erst zum Pagen, dann zum Knappen und künftigen Ritter erzogen und ausgebildet wurden. Im Mittelalter wurden die Kinder adeliger Familien bis auf wenige Ausnahmen nicht im eigenen Haushalt erzogen.

Auch hier gehen bei Alix die Angaben auseinander. So ist einigen Quellen zu entnehmen, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Ankunft am englischen Hof erst sechs Jahre alt war, andere sprechen von einer jungen Frau von fünfzehn Jahren.

Während dieser Zeit, in der sie auf ihren Verlobten Richard wartete, wurde sie von dessen Vater Henry II. verführt und zu seiner Mätresse. Beide hatten eine Tochter zusammen.

Richard war grundsätzlich nicht daran interessiert, zu heiraten, weder Alix noch eine andere Frau, sondern wollte lieber frei bleiben. Zu der Zeit gab es kaum eine Frau, die ihm widerstehen konnte. Der raubeinige Ritter, der keinem Kampf aus dem Weg ging, wurde in Anwesenheit der Damen zu einem charmanten Verführer und Troubadour.

Es kam, wie es bei Henry kommen musste: Er verlor das Interesse an Alix und wandte sich der nächsten Frau zu.

Aber sie war durch ihre Affäre mit seinem Vater für Richard als Ehefrau nicht mehr akzeptabel. Mehr noch: sie war für ihn nicht mehr existent. Seine Mutter Eleonore, die durch die Affären ihres Mannes viel Leid erlebt hatte, verachtete Alix genauso wie Richard und wollte sie nicht mehr sehen.

Warum auch immer, ob es durch die Vorbereitungen für den Kreuzzug war oder aus anderen Gründen, oder wie weit Eleonore daran beteiligt war, Alix wurde von Richard einfach „vergessen“, indem er sie nicht nach Frankreich zu ihrem Bruder Philippe zurückschickte, was das übliche Verfahren gewesen wäre.

So wurde Alix am englischen Hof eine Art Statistin. Sie war dort und auch wieder nicht. Man versorgte sie, sie nahm am äußeren Rand des Geschehens am Hofleben teil, aber niemand nahm wirklich Notiz von ihr.

Vermutungen, ob sie in dieser Zeit die Geliebte von Richards jüngerem Bruder John war, werden von den Historikern unterschiedlich bewertet.

Im Jahre 1190 trafen die englischen und französischen Kreuzfahrer auf dem Weg nach Palästina auf Sizilien ein und überwinterten in Messina. Bei dieser Gelegenheit brachte Philippe zum wiederholten Mal bei Richard die Sache seiner Schwester zur Sprache und verlangte ein eindeutiges Heiratsversprechen vom englischen König.

Richard hatte bisher eine klare Antwort vermieden, weil er kein Zerwürfnis mit Philippe vor dem Aufbruch zum Kreuzzug wollte. Dies hätte das gesamte Unternehmen infrage gestellt. Nun lehnte er die Ehe konkret ab und nannte als Grund das Verhältnis seiner Verlobten mit seinem Vater.

Philippe gab sich den Anschein, davon bisher nichts zu wissen und beschuldigte Richard der Lüge. Dazu gibt es auch keine eindeutigen Interpretationen. Ich persönlich glaube nicht so recht, dass Philippe nichts wusste. Denn dazu waren die gegenseitigen Spione an den Höfen viel zu aktiv. Spionage war ein blühendes Geschäft, das manche Menschen reich machte und anderen den Tod brachte.

Einigkeit besteht darüber, dass Richards Weigerung zum Bruch zwischen den beiden Königen führte und aus ihnen, die sich während des Kampfes gegen Richards Vater „Brüder“ genannt hatten, Todfeinde machte.

Richard spürte das, als er nach der Rückkehr zum Kreuzzug bis März 1194 in der Gefangenschaft des deutschen Kaisers Heinrich VI., dem Sohn von Friedrich Barbarossa, saß, an der auch Philippe nicht ganz unbeteiligt war.  

Für Alix bedeutete dies, dass sie in England weiterhin vergessen wurde, denn Richard hatte Philippe lediglich zugesagt, sie gleich nach seiner Rückkehr nach Frankreich zu schicken, die sich nun verzögerte.

Warum Eleonore Alix nicht in ihre Heimat schickte, darüber kann man nur spekulieren, zumal sie die junge Frau nicht mehr sehen wollte. Und auch, warum Richard keinen Boten in die Heimat schickte mit dem Befehl, Alix nach Frankreich zu schicken.

Jedenfalls löste Richard sein Versprechen ein und schickte Alix gleich nach seiner Rückkehr zu Philippe. Dieser hatte nun über ihr weiteres Schicksal zu entscheiden, sie hatte wieder kein Mitspracherecht dabei. Inzwischen war sie eine Frau in den Zwanzigern, für diese Zeit recht spät, um verheiratet zu werden. Aber sie hatte nur diese Option – oder Philippe müsste sie in ein Kloster schicken, wo sie sich nicht nur zurückzuziehen, sondern den Schleier zu nehmen hatte.

Philippe verheiratete sie 1195 mit dem Grafen Wilhelm von Ponthieu aus dem Hause Montgommery. 1197 wurde sie nach dem Tod ihrer Schwester auch Gräfin des Vexin, einer Gegend, die immer wieder ein Zankapfel zwischen den Königen von England und Frankreich war.

Wie Philippe den Grafen von Ponthieu dazu brachte, seine Schwester trotz ihres offensichtlichen „Makels“ zu heiraten, ist nicht bekannt.

Am 17.04.1199 brachte Alix eine legitime Tochter zur Welt. Über ihr weiteres Leben ist nichts bekannt. 1218 verliert ihre Spur sich völlig, auch ihr Todesjahr ist nicht bekannt.

 

 

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