Die ritterliche Erziehung im Hochmittelalter

Im Hochmittelalter, der Zeit von ca. 1050 bis 1250, war das wichtigste Ziel jedes Jungen hoher und höchster Geburt die Aufnahme in den Ritterstand, die er mit seiner Schwertleite erreichte.

Später wurde die Schwertleite durch den Ritterschlag als Aufnahmezeremonie ersetzt. Im Hochmittelalter wurde sie in Frankreich teilweise schon neben der Schwertleite durchgeführt, während man in Deutschland und England – vorerst – am alten Brauch festhielt.

Selbst für Historiker ist es schwer, beide Zeremonien tatsächlich voneinander abzugrenzen. Der wichtigste Unterschied dürfte sein, dass die ‚alte‘ Schwertleite noch in großen Teilen auf germanisch-keltische Initiationsriten zurückgeht und der Ritterschlag dagegen weitaus mehr unter dem Einfluss der christlichen Kirche stand. Dementsprechend hatte die Zeremonie mehr christliche Riten als die Schwertleite.

Das war nicht verwunderlich in dieser Zeit, es war nur ein kleiner Teil der Bemühungen der christlichen Kirche, ihren Einfluss auf die Menschen immer mehr zu verstärken.

Da es in meiner Serie um das Hochmittelalter geht, möchte ich gerne bei der Schwertleite bleiben.

Für jeden jungen Mann hoher und höchster Geburt, angefangen vom niederen Dienstadel bis in die Herrscherhäuser hinein, war es das höchste Ziel, in den Ritterstand aufgenommen zu werden. Doch dafür mussten auch die Söhne von regierenden Herrschern eine bestimmte Ausbildung durchlaufen. Noch nicht einmal ihnen wurde die Ritterwürde einfach „geschenkt“.

Diese Ausbildung fand in der Regel nicht im eigenen Elternhaus des Jungen statt, sondern er wurde in eine befreundete Familie oder, das galt als besonders erstrebenswert, an einen Fürstenhof überstellt.

Mit sieben Jahren verließ der Junge sein Elternhaus und ging an seinen Ausbildungsort. Dort wurde er in den ersten sieben Jahren bis zu einem Alter von ungefähr 14 Jahren sowohl von den Frauen dieses Haushalts als auch von seinem Ausbilder, dem sogenannten „ritterlichen Erzieher“, erzogen.

In der Obhut der Frauen lernte er, sich „artig“ zu benehmen und die höfischen Umgangsformen anzuwenden. Bei den Männern unter der Leitung des ritterlichen Erziehers lernte er Reiten, Jagen und hatte sich einer harten körperlichen Ertüchtigung zu unterziehen. Dazu kamen schon erste Waffenübungen. Ebenso hatte die geistige Ausbildung einen mehr oder weniger hohen Stellenwert, die je nach der Stellung des Haushalts, in dem er nun lebte, ausgerichtet war. An einflussreichen Höfen lernten die Jungen auch Lesen und Schreiben sowie Latein und andere Sprachen zu sprechen.

Mit 14 Jahren verließ der Junge dann die Obhut der Frauen und wurde Knappe „seines“ Ritters, der sein ritterlicher Erzieher war und bis zu seiner Schwertleite für ihn sein „Herr und Meister“. In dieser Zeit konnte ein Erzieher seinen Zögling sehr stark in seinem Sinne prägen. Es war die Zeit der Waffenausbildung und der Sammlung von Kampferfahrungen. Sein Erzieher führte ihn Stück für Stück an die Realität des Kampfes und der Schlacht heran. Er musste seinen Herrn begleiten, für seine Pferde sorgen und ihm neue Waffen reichen. Vielfach wurde er schon in das Kampfgeschehen involviert.

In diese Zeit fiel in der Regel der wichtigste Tag im Leben eines künftigen Ritters: der, an dem er seinen ersten Feind tötete – und der, an dem er seine Angst zu besiegen hatte.

Es mag seltsam anmuten, aber damals konnte man mit dieser Angst umgehen, besser, als wir es uns heute vielleicht vorstellen können. Ein junger Mann, der es nicht schaffte, die Dämonen seines ersten getöteten Feindes in sich zu besiegen oder seine Angst nicht beherrschen konnte, war für das Rittertum nicht geeignet. Er wurde zu einer Gefahr für seine Kameraden.

Erfahrene Ausbilder boten den Jungen ihre Hilfe bei der Bewältigung an, aber sobald sie erkannten, dass ihr Zögling zu denjenigen gehörte, die eine Gefahr für sich und vor allem andere darstellte, verstießen sie ihn sehr schnell und unbarmherzig. Es gab keine Gnade mit diesen „Versagern“. Viele dieser jungen, nun mit Schande bedeckten Männer, konnten nicht zu ihren Familien zurückkehren und wählten stattdessen das künftige Leben im Kloster.

Die Schwertleite war dann eine große Zeremonie, bei der aber auch die Unterschiede der Stellung der Haushalte deutlich wurden. Im niederen Adel wurden oftmals die Schwertleiten einiger junger Männer zusammengefasst, um die Kosten für die Feiern zu reduzieren. Dagegen waren die Schwertleiten in Fürstenhäusern meistens auf nur einen Ritter ausgerichtet.

Egal, ob einzeln oder allein – für den jungen Mann war diese Zeremonie das Ziel seiner Träume.

Trotz der ursprünglich heidnischen Wurzeln der Zeremonie war die Kirche auch dabei allgegenwärtig. So gehörte eine ausführliche Beichte und die einsame Nachtwache vor dem Altar für den künftigen Ritter unabdingbar dazu.

In der Zeremonie an sich erhielt er dann den „letzten Schlag, der unerwidert bleiben darf“ von demjenigen, der ihm seine Schwertleite erteilte, und zwar mit einem scharfen Schwert. Das konnte sein ritterlicher Erzieher sein oder auch ein Fürst oder sogar König oder Kaiser. Die Schwertleite durch den künftigen Lehnsherrn war eine besondere, begehrte Auszeichnung.

Dieser „letzte Schlag“, wurde später beim Ritterschlag umgewandelt, indem man nur noch leicht mit dem Schwert die Schulter des künftigen Ritters berührte. Denn bei der Schwertleite gab es dabei hin und wieder doch Verletzungen, wenn zu fest zugeschlagen wurde.

In der Regel war der junge Mann zu diesem Zeitpunkt bereits 21 oder mindestens 20 Jahre alt, da er die entsprechende geistige Reife mitbringen musste, zu erfassen, was das Rittertum tatsächlich bedeutete. Ausnahmen von dieser Regel wurden nur sehr selten und dann aus entsprechend gewichtigen Gründen gemacht, z.B. bei Richard Löwenherz.

Richard Plantagenet, der Sohn von König Henry II. und Eleonore von Aquitanien, war ebenso wie seine Alterskameraden in dieser Zeit ein junger Mann, der von seiner Schwertleite träumte. Den überlieferten Quellen nach zeigte sich bei ihm schon in sehr jungen Jahren sein Kampftalent und seine Begeisterung für das Waffenhandwerk. Mache heutige Historiker sind der Meinung, er wäre „kampfwütig“ gewesen – aber das ist ein Thema für sich, auf das ich gerne zu gegebener Zeit, wenn die Veröffentlichung meiner Serie entsprechend vorangeschritten ist, eingehen möchte.

Diesen Quellen nach erhielt er bereits im Alter von 16 Jahren (!) seine Schwertleite, und zwar nicht von seinem eigenen Vater, sondern von König Ludwig VII. von Frankreich in einer großen Zeremonie in Paris!

Also – eigentlich – das, was sich jeder junge Mann damals wünschte.

Oder doch nicht? Als Prinz von England und Herzog von Aquitanien, der er zu dieser Zeit bereits war, hatte er Anspruch auf die Schwertleite durch einen Herrscher. Aber auch bereits mit 16 Jahren? Das ist nämlich meiner Meinung nach hier die eigentliche Frage, wenn wir uns noch einmal verdeutlichen, dass ein Ritter bei seiner Schwertleite – in der Regel – mindestens 20 Jahre alt war. Sogar William Marshal, der genau wie Richard den Ruf als bester Ritter der Christenheit hatte, hatte bei seiner Schwertleite sein 20. Lebensjahr vollendet.

Wer von beiden nun wirklich „der Beste“ war, lässt sich heute nicht mehr genau feststellen. Sicher ist nur, dass Richard ein hervorragender Schwertkämpfer war, während William Marshal die Lanze bevorzugte.

Es war die Zeit der Rebellion der Söhne von König Henry II. gegen ihren Vater und die der ständigen Kämpfe zwischen dem Angevinischen Reich und Frankreich. Henry II. und Ludwig VII. waren Feinde.

Und es war jene Zeit, in der die Söhne Henrys an den französischen Hof gingen, wenn sie Hilfe gegen ihren Vater brauchten.

Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage, ob Richards ungewöhnlich frühe Schwertleite durch den König von Frankreich rein aus politischen Gründen erfolgte, oder ob Richard diese in seinem jungen Alter auch schon durch seine Fähigkeiten verdiente. Hatte er bereits die dafür nötige geistige Reife?

Politisch war ein Sohn, der gegen seinen Vater rebellierte und bereits die Anerkennung als Ritter hatte, für Ludwig natürlich ein genialer Schachzug, zumal Henry seinem Sohn die Schwertleite verweigerte. Damit verletzte der König von Frankreich nicht nur seinen Rivalen, sondern machte sich Richard als künftigen Bündnispartner gegen eben diesen gewogen.

Überliefert ist ebenfalls, dass Richard direkt nach seiner Schwertleite erste Erfahrungen als Anführer sammelte und dabei sehr erfolgreich war – mit gerade einmal 16 bis 18 Jahren.

Heute fällt es schwer, uns einen Kommandeur mit gerade 18 Jahren vorzustellen. Aber dazu müssen wir gar nicht einmal so weit in die Vergangenheit zurückgehen. Auch die U-Boot-Kapitäne des 2. Weltkrieges waren vielfach erst knapp über 20 Jahre alt.

Nun muss man dazu auch berücksichtigen, dass die Erziehung im Hochmittelalter und auch während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz anders war als diejenige, die heute junge Menschen erhalten. 

 


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